Familienanamnese venöse Thromboembolie

Kontrazeption und venöse Thromboembolie (VTE) in der Familienanamnese (FA)

Eine Kasuistik von Dr. med. Claudia Wöhler

Anamnese und Beschwerden

In der Praxis stellt sich eine 24-jährige Patientin (BMI 26 kg/m2) mit dem Wunsch nach einer sicheren Kontrazeption vor. Die Anamnese ergibt:

  • Zustand nach (Z.n.) Spontanpartus
  • Unauffällige Eigenanamnese
  • Vater: VTE mit 40 Jahren (ohne Auslöser)
  • Großmutter väterlicherseits: VTE mit 50 Jahren
  • Indikation für ein Thrombophilie-Screening gegeben

Indikationen, für die ein Thrombophilie-Screening empfohlen wird:¹ 

  • Z.n. VTE in jungen Jahren
  • Rezidivierende VTE ohne Auslöser
  • Atypisch lokalisierte VTE
  • Z.n. Todgeburt, habituellen Aborten
  • Verdacht auf systemischen Lupus erythematodes oder Antiphospholipid-Syndrom
  • Bekannte Thrombophilie in der FA
  • Vor Verordnung kombinierter hormonaler Kontrazeptiva bei pos. FA: Verwandte 1. / 2. Grades mit VTE <50 Jahren

Laborparameter, die bei Verdacht auf Thrombophilie getestet werden sollten:¹ 

  • APC-Resistenz (Suchtest für Faktor-V-Leiden-Mutation)*
  • Alternative, genetische Testung auf Faktor-V-Leiden-Mutation**
  • Prothrombin-Mutation G20210A**
  • Antithrombin-III-Aktivität*
  • Protein-C-Aktivität*
  • Protein-S-Aktivität*
  • Faktor VIII*
  • APL-AK: Lupus-Antikoagulans, Anticardiolipin-AK, Anti-beta2-Glykoprotein-I-AK*

Eine Abklärung wird nur bei Risikopatientinnen empfohlen. Vor genetischer Abklärung einer Faktor-V-Leiden- und Prothrombin-Mutation ist eine humangenetische Beratung erforderlich. Alternativ zur genetischen Testung auf Faktor-V-Leiden-Mutation kann die APC-Resistenz, ein Suchtest für das Vorliegen einer Faktor-V-Leiden-Mutation, durchgeführt werden. Hierzu ist keine genetische Beratung erforderlich.

Diagnose: Heterozygote Faktor-V-Leiden Mutation†

(*) Gerinnungsröhrchen; zeitnahe Laboranalyse des Vollbluts (innerhalb von 4 Std.).
(**) Abnahme von 1–5 mml EDTA-Vollblut. Humangenetische Beratung erforderlich.
(†) Leiden: niederländische Stadt, in der 1994 die Erstbeschreibung der Mutation gelang.

Dr. med. Claudia Wöhler

Niedergelassene Gynäkologin in München und Autorin des Buches „Kontrazeption pocket“.

Diagnose Faktor-V-Leiden-Mutation

Eine Faktor-V-Leiden-Mutation ist die häufigste kongenitale Thrombophilie.1

 

Typen Anteil europ. Bevölkerung VTE-Risiko
Heterozygot 3 – 13% Ca. 5-fach erhöht
Homozygot 0,2 – 1% Ca. 10-fach erhöht

Bei Patientinnen, die gleichzeitig kombinierte hormonale Kontrazeptiva einnehmen, ist das VTE-Risiko synergistisch erhöht.¹

Bei einem gesunden Menschen wird Faktor Va durch aktiviertes Protein C (APC) inaktiviert. Durch die veränderte Struktur des Faktor-V-Leiden wird Faktor V (gerinnungsfördernd) „resistent“ gegenüber der Inaktivierung durch APC. Es kommt zu einem Ungleichgewicht an gerinnungshemmenden und -fördernden Einflüssen, wodurch das Thrombophilie-Risiko zunimmt.1 Der Phänotyp der APC-Resistenz kann in Plasmaproben nachgewiesen werden. Der Genotyp (Faktor-V-Mutation-Typ Leiden heterozygot oder homozygot) wird durch eine molekulargenetische Untersuchung bestimmt. Die Vererbung ist autosomal dominant. 

Bei Asiaten und Afrikanern ist die Mutation sehr selten (< 1 %).1 Vermutlich ist sie etwa 30 000 Jahre nach Trennung der mongolischen von der weißen Rasse entstanden. Die Häufigkeit der Mutation könnte auf einen Selektionsvorteil in der Evolution zurückzuführen sein, weil die mit der Mutation verbundene Hyperkoagulabilität ein Schutz vor Blutverlusten bedeutete.2

Sichere Kontrazeptionsmethoden bei Risikopatientinnen (Faktor-V-Leiden-Mutation) 

  • Mit der Patientin wurde eine Kupferspirale besprochen.
  • Grundsätzlich sollte nach Möglichkeit eine nicht hormonelle Kontrazeptionsmethode angewendet werden.
  • Ist dies nicht möglich, kann nach individueller Risiko-Nutzen-Abwägung und ausführlicher Aufklärung und Dokumentation u. U. eine reine Gestagenpille eingesetzt werden.
  • Hier ist zunächst an eine Levonorgestrel-haltige, „klassische“ Minipille zu denken, da die hierzu vorliegenden Ergebnisse auf der solidesten Datenbasis beruhen.1

Literatur

  1. Rabe T et al., Kontrazeption & Thrombophilie – Eine Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologische Endokrinologie und Fortpflanzungsmedizin (DGGEF) e. V. und des Berufsverbands für Frauenärzte (BVF) e.V., J. Reproduktionsmed. Endokrinol, 2012;9 (1): 20-63.
  2. Witt I., APC-Resistenz (Faktor-V-Mutation). Klinische Bedeutung, Pathophysiologie und Diagnostik, Deutsches Ärzteblatt 1998;95:2316–2323 [Heft 38].