Schlafstörungen bei Opioidabhängigkeit

Eine gesundheitliche Beeinträchtigung, die Suchtpatient*innen erheblich zu schaffen machen kann, die aber bislang häufig therapeutisch noch zu wenig Beachtung findet, sind Schlafstörungen. Lesen Sie hier, wie Sie das Schlafverhalten bei Ihren Suchtpatient*innen verbessern können.

Die Verbesserung des Schlafverhaltens bei Suchtpatient*innen als therapieunterstützende Maßnahme

Nach Meinung von Expert*innen werden Schlafstörungen im Zusammenhang mit Suchterkrankungen zu selten adäquat diagnostiziert und behandelt. Dabei ist längst klar: Ohne die entsprechende Therapie verschlechtert sich die Symptomatik im Laufe der Zeit und sie kann darüber hinaus einen entscheidenden Risikofaktor für Rückfälle darstellen. 1

Gestörter Schlaf gefährdet die Gesundheit

Schlaf ist weit mehr als die Abwesenheit der Wachheit. Vielmehr ist Schlaf ein aktiver, strukturierter und nicht zuletzt lebensnotwendiger Prozess, der erhebliche Auswirkungen auf den gesamten Gesundheitszustand ausübt. Schlaf unterstützt kognitive Prozesse, stärkt die Immunabwehr und weist eine protektive Wirkung auf, was psychische Störungen, wie z. B. Depressionen, anbelangt, aber auch was physische Erkrankungen wie Schlaganfall, Herzinfarkt oder auch Diabetes betrifft. 2-4 Doch auch wenn die Wissenschaftler*innen heute – nicht zuletzt dank der mit dem Medizin-Nobelpreis ausgezeichneten Forschung zum Thema molekulare Uhren und deren Einfluss auf den zirkadianen Rhythmus 5 – mehr Erkenntnisse über den Schlaf besitzen als je zuvor, liegen viele Schlaffunktionen noch immer weitgehend im Dunkeln.

Außer Frage steht jedoch: Ausreichend langer und durchgängiger Schlaf ist wichtig – sofern er denn im klinischen Sinne normal ist. Welche Faktoren sind in diesem Zusammenhang von Bedeutung? Es gehören unter anderem bei Erwachsenen eine Schlafdauer von 6 bis 8 Stunden sowie das Einschlafen nach maximal 30 Minuten dazu.

Laut der S3-Leitlinie nicht erholsamer Schlaf/Schlafstörungen6 ist die nichtorganische Insomnie (ICD-10 F51.0) durch eine fehlende Erholsamkeit des Schlafes gekennzeichnet sowie durch eine unzureichende Schlafqualität, ein verzögertes Einschlafen, gestörtes Durchschlafen und zu frühes Erwachen mit einer Häufigkeit von wenigstens dreimal pro Woche über den Verlauf eines Monats.

Schlafstörungen bei Suchterkrankungen – häufig, aber unterschätzt

Verschiedene Erkrankungen werden von Schlafstörungen begleitet, die es abzuklären gilt, damit eine geeignete Behandlung ins Auge gefasst werden kann. Chronische Nierenerkrankungen, Magen-Darm-Erkrankungen, anhaltende Schmerzzustände und endokrinologische Störungen, wie sie etwa bei Erkrankungen der Schilddrüse zu finden sind, sind hier nur einige wichtige auslösende Faktoren, die zu einer Schlafstörung beitragen oder sie auslösen können.7,8 

In einem ganz anderen Licht sind Schlafstörungen zu betrachten, die sich im Zusammenhang mit Substanzmissbrauch manifestieren: Hier fällt es häufig schwer zu ermitteln, ob letztendlich die Schlafstörung selbst den Weg zum Drogenmissbrauch geebnet hat, oder ob der Drogenmissbrauch eine wesentliche Ursache für die Schlafstörung darstellt.1 Jede Ärztin oder jeder Arzt, die oder der Suchtpatient*innen behandelt, weiß aber aus der täglichen Praxis, dass diese vermehrt unter Schlafstörungen leiden. Eine Analyse der psychiatrischen Komorbiditäten bei opioidabhängigen Patient*innen in Substitutionstherapie ergab, dass sich neben Depressionen, Persönlichkeits- und Angststörungen, insbesondere auch Schlafstörungen mit 13,5 % besonders häufig manifestieren.9 Im Kontrast dazu werden Schlafstörungen wiederum verhältnismäßig selten behandelt.9 In dieser Hinsicht spielen internistische Komorbiditäten und Angststörungen bei Suchtpatient*innen eine sehr große Rolle – verdoppeln sie doch das Risiko einer Insomnie zusätzlich. Als Ärztin oder Arzt sollten Sie daher die Behandlung der Schlafstörungen immer im Zusammenhang mit der folglich unerlässlichen Therapie eventuell bestehender Komorbiditäten betrachten und durchführen.

Gestörter Schlaf hat viele Auswirkungen

Für Betroffene sind Schlafstörungen mit einer erhöhten Reizbarkeit, Angst, Stressanfälligkeit, Konzentrationsstörungen, sowie Beeinträchtigungen des sozialen Lebens verbunden.10-12 Besonders für opioidabhängige Patient*innen sind dies Faktoren, die den Erfolg einer Substitutionsbehandlung oder eines Entzugs zusätzlich konterkarieren können. Daher gilt es, Schlafstörungen bei Opioidabhängigkeit unter einer Substitutionstherapie oder Entzug besonders ernst zu nehmen, zumal diese Symptomatik in diesen klinischen Konstellationen sehr verbreitet ist. So klagen bis zu 90 % der Patient*innen im Drogenentzug über Ein- und Durchschlafstörungen sowie vermehrt auch über „unruhige Beine“.13-15 Unbehandelt werden im Laufe einer Substitutionsbehandlung tendenziell mehr Schlafstörungen beobachtet, die sich über Monate hinweg dann auch chronisch entwickeln können.13

Diagnostisch können Sie als behandelnde Ärztin oder behandelnder Arzt Schlafstörungen auf verschiedenen Ebenen erfassen. Neben einer medizinischen sowie psychiatrisch-psychologischen Anamnese sollten Sie auch eine Schlafanamnese durchführen. Dabei haben sich leicht durchzuführende diagnostische Instrumente wie Schlaffragebögen (Pittsburgher Schlafqualitätsindex [PSQI] ; Schlaffragebogen A [SF-A] Insomnia Severity Index [ISI]) oder das Führen von Abend- und Morgenprotokollen (Schlaftagebuch) durch die Patient*innen, bewährt.6

Therapie der Schlafstörungen auf mehreren Säulen

Die Behandlung von Schlafstörungen besteht im Allgemeinen aus verschiedenen therapeutischen Elementen, die nicht-pharmakologische und pharmakologische Therapiestrategien umfassen. Die nachfolgende Übersicht stellt die wesentlichen Strategien dar. 

Therapieoptionen bei Schlafstörungen16:

Nicht-pharmakologische Therapiestrategien

Pharmakologische Therapiestrategien

a) Schlafberatung:
  • 10 Regeln der Schlafhygiene
  • Aufklärung über Schlafphysiologie
a) Phytotherapeutika
  • Schlaf- und Beruhigungstees
  • Baldrian
  • Kombination von Schlaftee und Baldrian
b) Entspannungsverfahren/Verhaltenstherapien:
  • Autogenes Training, Muskelrelaxation nach Jacobson
  • Kognitive Verhaltenstherapie: Abbau von Befürchtungen und Missverständnissen
  • Stimuluskontrolle (das Bett wird selektiv zum Schlafen verwendet)
  • Paradoxe Intention (Teufelskreis des Erwartungsstresses durchbrechen)
  • Schlafrestriktionstherapie: Erhöhung des abendlichen Schlafdrucks durch verlängerte Wachphasen tagsüber und Verkürzung der Liegezeit im Bett
  • Kognitive Techniken zur Veränderung dysfunktionaler Einstellungsmuster

b) GABA-A-Benzodiazepinrezeptor-Agonisten (Therapiedauer 2–4 Wochen):
CAVE: Z-Substanzen sollten aufgrund des Risikos einer Abhängigkeit bei Suchtpatienten gemieden werden.
c) Schlaffördernde Antidepressiva

Es liegt auf der Hand, dass Sie als Ärztin oder Arzt speziell bei Suchtkranken keine pharmakologischen Interventionen anbieten sollten, die Medikamente mit Suchtpotential beinhalten. Möglichkeiten nicht-pharmakologischer Behandlungsansätze bei Substitutionspatient*innen zielen vor allem auf eine Restriktion des Schlafverhaltens, kognitive Verhaltenstherapien, eine Kontrolle des Stimulus oder auch auf die Vermittlung von Informationen rund um das Thema Schlaf ab. Zusammen mit der Einhaltung einer Schlafhygiene können bei dieser Patient*innengruppe nicht-medikamentöse Strategien ein adäquates Mittel der Wahl darstellen. Der Begriff Schlafhygiene bezeichnet Bedingungen und Verhaltensweisen, die zu einem gesunden und erholsamen Schlaf beitragen und unter anderem eine schlaffördernde Gestaltung der Schlafumgebung sowie Verhaltensweisen für einen gesunden Schlaf-Wach-Rhythmus beinhalten. Als „goldene Regeln“ der Schlafhygiene gelten dabei die nachfolgend aufgeführten Punkte.

„10 Regeln der Schlafhygiene“16:

 

1. Körperliche Aktivität

Wie Abendspaziergänge zur Förderung der Müdigkeit

2. Mahlzeiten

Abends nur leichte Kost

3. Warm/kalt duschen

Training des vegetativen Nervensystems

4. Verzicht auf Stimulanzien (Kaffee, Tee u. a.) und Alkohol

Ein- und durchschlafstörende Genussmittel

5. Schlafumgebung

Wohliges Bett, Dunkelheit, Ruhe

6. Schlafzeit verkürzen

Keine Mittagsschläfchen, Erhöhung des Schlafdrucks, Förderung der Schlafeffizienz

7. Regelmäßigkeit

Gleichmäßiger Schlaf-Wach-Rhythmus, Einschlafritual

8. Lieber aufstehen und sich wach entspannen als sich stundenlang im Bett wälzen

Bett nicht zum Kampfplatz machen

9. Paradoxie: „Ich will gar nicht schlafen“

Durchbrechen des Terrors der Erwartungshaltung

10. Cave! Schlafmittel

Programmierung von Schlafstörungen

Fazit

Dem häufig gestörten Schlafverhalten bei Suchtkranken sollte – so der einhellige Tenor aller Fachleute – deutlich mehr therapeutische Aufmerksamkeit geschenkt werden, als dies im heutigen Behandlungsalltag der Fall ist. Das gilt nicht zuletzt unter dem Aspekt, dass länger bestehende Schlafstörungen die Suchtkrankheit selbst befördern können.9 Umgekehrt können Sie als behandelnde Ärztin oder behandelnder Arzt mit der Verbesserung des Schlafs Ihre Patient*innen therapeutisch unterstützen und einen wichtigen Beitrag leisten, damit Ihre Patient*innen den Weg aus der Sucht finden.

Quellen

1 Roehrs und Roth, Psychiatr Clin North Am. 2015; 38(4):793-803.

2 Besedovsky et al. Physiol Rev. 2019 Jul 1;99(3):1325-1380.

3 Grandner MA et al. J Sleep Res. 2012 Aug;21(4):427-33.

4 Laugsand LE et al. Circulation. 2011 Nov 8;124(19):2073-81.

5 The Nobel Prize. Press Release October 2017. https://www.nobelprize.org/prizes/medicine/2017/press-release/ (letzter Zugriff 04/2022).

6 Riemann et al., S3-Leitlinie Nicht erholsamer Schlaf/Schlafstörungen, Somnologie 2017; 21:2-44.

7 Maung C et al. World J Nephrol. 2016 May 6;5(3):224-232.

8 Steiger A. Sleep in endocrine disorders. Oxford Textbook of Sleep Disorders. 2017.

9 Wittchen HU et al., Suchtmedizin in Forschung und Praxis. 2011;13(5):227–231.

10 Saghir Z et al. Cureus. 2018 Jul;10(7): e2912.

11 Alhola P, Polo-Kantola P. Neuropsychiatric Disease and Treatment 2007:3(5) 553–567.

12 Medic G et al. Nature and Science of Sleep 2017:9 151–161.

13 Wittchen HU et al., Drug Alcohol Depend. 2008 Jun 1;95(3):245-257.

14 Mahfoud Y et al. Psychiatry (Edgmont). 2009 Sep;6(9):38-42.

15 Grau-López L et al. Front Psychiatry. 2020;11:540022.

16 Beck, J Psychiatrie und Neurologie 2/2011, https://www.rosenfluh.ch/media/psychiatrie-neurologie/2011/02/diagnostik_und_therapie.pdf (letzter Zugriff in 04/2022).