Indikation

Epilepsie muss keine Hürde sein

Der Arbeitslosenanteil unter Menschen mit Epilepsie ist überproportional hoch. [1] Oft sind verunsicherte Arbeitgeber der Grund, warum Betroffene ihren Job verlieren oder gar nicht erst bekommen. Dahinter steht vor allem die Angst vor Arbeitsunfällen. Was die wenigsten wissen: Viele Patienten mit Epilepsie haben Erkrankungsformen mit guter Prognose und sind quasi anfallsfrei – wie auch Rebekka. [2]

Junge Frau mit Brille auf dem Spielplatz

Menschen mit Epilepsie im Beruf

Rebekka ist ein offener Mensch. Meist lächelt sie freundlich und scheint nur wenig Berührungsängste zu haben. So aufgeschlossen, wie sie sich gibt, geht sie auch mit ihrer Erkrankung um. Ganz selbstverständlich spricht die junge Frau über die Art der Epilepsie, von der sie betroffen ist. Ob gegenüber Freunden und Bekannten oder auch Arbeitgebern und Kollegen, da macht sie keinen Unterschied. Auch wenn sie damit im beruflichen Umfeld nicht immer gute Erfahrungen gemacht hat, ist der 25-jährigen Wahlkölnerin Transparenz wichtig.

Sie ist überzeugt: aufklären, aufklären, aufklären – nur so kann man Vertrauen schaffen und den Vorurteilen gegenüber Epilepsie begegnen. Denn welche Auswirkungen Epilepsie auf das Leben und auch den Beruf hat, das kann nur in Bezug auf eine konkrete Person und einen konkreten Arbeitsplatz beurteilt werden.

Es war ihr Kindheitstraum: Soweit Rebekka sich zurückerinnern kann, wollte sie Erzieherin werden: „Ich liebe Kinder. Schon als Schülerin habe ich oft babygesittet.“ Den Schulabschluss in der Tasche, stand Rebekkas Berufswahl schnell fest. Sie begann am Erzbischöflichen Berufskolleg Köln eine Ausbildung als Erzieherin. Doch dann passierte es, mitten im zweiten Ausbildungsjahr. Rebekka erlitt ihren ersten epileptischen Anfall, der nicht nur ihr Leben verändern sollte, sondern auch ihren Lebenstraum zunichtemachen könnte – Ende bislang offen.

Aus der Traum?

Seitdem sind sechs Jahre vergangen. Was damals genau passierte, daran erinnert sie sich nicht. Sie weiß nur noch, dass sie unter der Dusche stand und anschließend mit lauter blauen Flecken am Körper und geplatzten Äderchen im Gesicht in ihrem Bett wieder aufgewacht ist. Ein Grand-mal-Anfall: Dies ist die bekannteste Form der Epilepsie. Der Betroffene erleidet Krampfanfälle und verliert das Bewusstsein. Es folgte ein weiterer Grand-mal-Anfall in der Schule. Rebekkas Epilepsie ist chronisch und wird sie ihr Leben lang begleiten. Seit zwei Jahren nun hat die Kölnerin keine Krampfanfälle mehr. Mittlerweile ist sie medikamentös gut eingestellt. Nur gegen ihre Absencen hat bislang keines der Antikonvulsiva helfen können.

Gewitter im Gehirn

Rebekka

Der Auslöser für einen epileptischen Anfall ist eine gestörte Erregbarkeit der Nervenzellen im Gehirn. Zeitgleiche Entladungen ganzer Nervenzellverbände ähneln einem „Gewitter im Gehirn“. Die Ursachen dafür sind vielfältig: Ein Großteil der Epilepsien entsteht durch eine Schädigung des Gehirns, zum Beispiel durch Sauerstoffmangel bei der Geburt, Hirnhautentzündung, Tumoren oder Schädel-Hirn-Trauma. Auch Rebekka hat ihre Epilepsie von Geburt an. Was sich in den ersten Lebensjahren nur in Ansätzen erkennen ließ, kam erst nach 19 Jahren zutage.

Rebekkas Form der Epilepsie ist selten. Ihr Gehirn ist eigentlich gesund, es ist nur eine winzige Stelle im Sprachzentrum betroffen. Eine sehr sensible Stelle, allerdings zu risikoreich für eine Operation. Ihre Hoffnung: „In der Epilepsie-Forschung tut sich im Moment sehr viel. Vielleicht gibt es irgendwann ein Medikament, mit dem ich die Absencen in den Griff bekomme.“

Epilepsie hat viele Gesichter

Bei Epilepsie denken die meisten sofort an einen Grand-mal-Anfall, der mit Krämpfen und Zuckungen einhergeht. Dabei können epileptische Anfälle sehr verschieden ablaufen. Epilepsie ist eine Krankheit wie andere auch, mit milden und schweren Verläufen. Das Spektrum der Erkrankung reicht von Formen mit guter Prognose und wenigen Anfällen bis zu Formen mit hoher Anfallsfrequenz und eintretenden Gehirnschädigungen. Mehr zu verschiedenen Epilepsien und epileptischen Anfallsformen.

Krankheit nicht verstecken

Menschen mit Epilepsie leiden nicht nur an ihrer Krankheit, sondern auch unter den Vorurteilen ihrer Mitmenschen. Dies gilt auch für Rebekka. „Einen Anfall in der Öffentlichkeit oder am Arbeitsplatz zu haben, ist mir immer unangenehm. Wie Blei lasten die Blicke der Umstehenden dann auf mir.“

Trotz ihrer Erkrankung und der entstandenen Fehlzeiten machte Rebekka nach drei Jahren am Erzbischöflichen Berufskolleg ihr Abitur. Um ihre Ausbildung als Erzieherin abzuschließen, absolvierte sie dann ein einjähriges Berufspraktikum in der Kindertagesstätte eines gemeinnützigen überregionalen Trägers in Köln. „Direkt im ersten Vorstellungsgespräch habe ich meine Erkrankung angesprochen“, berichtet Rebekka. „Dies war für die Leitung der Einrichtung, aber auch später im Verlauf des Praktikums für die Kollegen kein Problem.“ Eine Offenbarungspflicht am Arbeitsplatz besteht für Menschen mit Epilepsie nur dann, wenn wesentliche Teile der Arbeit aufgrund der Epilepsie nicht ausgeführt werden können.

Absencen treten bei Rebekka in der Regel nicht vor den Nachmittagsstunden auf, meistens dann, wenn ein anstrengender Arbeitstag langsam ausklingt. In diesen Momenten ist sie für wenige Sekunden, manchmal auch bis zu einer halben Stunde nicht ansprechbar, lacht monoton und wiegt den Körper leicht vor und zurück. „Passierte das im Gruppenraum, hat mich meine Kollegin in den Personalraum geführt. Dort blieb ich so lange, bis der Anfall beendet war. Für die Kinder waren meine Absencen kein Thema.“ Rebekka führt einen Anfallskalender: Mal hat sie monatelang keine Anfälle, manchmal auch jeden Abend. Absencen treten dann häufiger auf, wenn der Körper z. B. durch eine Erkältung geschwächt ist.

Eine für alle - Fachkundige Beratung rettet viele Beschäftigungsverhältnisse

Derzeit sind in Deutschland etwa 500.000 Menschen mit Epilepsie in ärztlicher Behandlung. Dies entspricht ungefähr der Zahl an Menschen, die an behandlungsbedürftigem Diabetes erkrankt sind.  Während die medizinische Diagnostik und Behandlung epilepsiekranker Patienten weitgehend gesichert ist und sich fortschreitend verbessert, benötigen Betroffene angesichts der weitreichenden Auswirkungen der Erkrankung auf den Alltag und das Berufsleben Beratung und Unterstützung. Seit Anfang 2018 gibt es als neues ganzheitliches Beratungsangebot die ergänzende unabhängige Teilhabeberatung.

Berühmte Epileptiker

Vincent van Gogh

Vincent van Gogh

d’Arc

Jeanne d’Arc

Napoleon

Napoleon

Vinci

Leonardo da Vinci

Caesar

Julius Caesar

Fristlos gekündigt

Nach dem Berufspraktikum bewarb sich Rebekka in einer privaten Kindertagesstätte. Auch hier schien einem Arbeitsverhältnis nichts entgegenzustehen, so lange, bis Rebekka im Rahmen einer Teamsitzung eine Absence hatte. Die Kollegen waren sehr aufgeregt, fühlten sich überfordert. Diese Anspannung übertrug sich auf Rebekka. Sie konnte nur schwer wieder zur Ruhe kommen. Und dann ging alles ganz schnell: Die fristlose Kündigung kam postwendend. Auch von einer kleineren kirchlichen Einrichtung bekam Rebekka direkt im Anschluss eine Absage. Eine Anstellung von Rebekka sei ihnen zu unsicher, meinte die Leiterin der Kindertageseinrichtung. Das war letzten Dezember.

Hop oder top

Rebekka fühlt sich entmutigt. Immer wieder stößt sie auf Vorbehalte. Dabei hatte das Berufspraktikum ihr so viel Hoffnung gemacht und gezeigt, dass sie durchaus in der Lage ist als Erzieherin zu arbeiten. Nun bewirbt sie sich noch einmal in der Kindertagesstätte, in der sie ihr Berufspraktikum absolviert hat. „Sollte das nicht klappen, muss ich eine Umschulung machen. Vielleicht etwas Kreatives, aber eine richtige Vorstellung habe ich noch nicht.“ Letzte Woche hatte sie ein persönliches Gespräch mit der Leiterin. Die möchte sich noch einmal mit dem Träger der Einrichtung abstimmen. Auch einige Kinder haben sich gefreut, Rebekka wiederzusehen: „Du bist doch die, die manchmal so wackelt und lacht.“

Nachtrag: Kurz vor Erscheinen von „Die Antwortgeber“ meldet sich Rebekka noch einmal in der Redaktion: Am 1. April kann sie als Erzieherin in der Kölner Kindertagesstätte, in der sie bereits ihr Anerkennungsjahr absolviert hat, anfangen. Sie freut sich riesig.

Der Ärztliche Direktor am Epilepsiezentrum Kork über die Rolle des behandelnden Arztes bei der Berufswahl von Menschen mit Epilepsie und neue Therapiemöglichkeiten.

Prof. Dr. med. Bernhard Steinhoff

Was ist aus arbeitsmedizinischer Sicht bei der Behandlung von Patienten mit Epilepsie zu beachten?

Von entscheidender Bedeutung sind die Prognose des individuellen Epilepsiesyndroms und der Berufswunsch des Patienten. Wenn absehbar ist, dass der Patient nicht anfallsfrei sein wird, kommt z. B. eine Tätigkeit, die das Führen eines Kraftfahrzeugs erfordert, nicht infrage. Ist der Epilepsieverlauf hingegen stabil, muss sich der Arzt dafür einsetzen, dass dem Patienten nicht unnötig Steine in den Weg gelegt werden.  

Die meisten Patienten des Epilepsiezentrums Kork arbeiten heute erfreulicherweise auf dem ersten Arbeitsmarkt. Schwierig ist die Situation, wenn Patienten durch eine neu aufgetretene Epilepsie in eine soziale Krise stürzen, weil sie Busfahrer, Dachdecker oder Maschinenführer etc. sind. In diesen Fällen müssen wir Ärzte alles dafür tun, dass der Patient anfallsfrei wird und wieder berufstätig sein kann. Ist das nicht möglich, sollte der Patient sich umschulen lassen.

Welche Aspekte sollte der behandelnde Arzt im Hinblick auf die Berufswahl abklären?

Es geht immer darum, genau abzuklären, ob Anfälle noch auftreten und wie schwerwiegend sie sind, falls sie noch auftreten. Wenn ein Patient mindestens ein Jahr lang keine Anfälle mit Bewusstseinseinschränkung mehr hatte und seine Medikamente verträgt, erfüllt er die Voraussetzung für das Führen eines Fahrzeugs der Gruppe 1, sprich PKW. Dann gestatten wir vom Epilepsiezentrum Kork in der Regel auch viele andere private und berufliche Herausforderungen, die im Falle einer plötzlichen Bewusstlosigkeit mit erhöhtem Risiko verbunden wären. Trotzdem rate ich immer, bestimmte Alltagsfallen, wie z. B. die Badewanne nach Möglichkeit zu meiden.

In der Forschung und Therapie hat sich viel getan. Worauf können Menschen mit Epilepsie in den kommenden Jahren hoffen?

In den letzten Jahren sind einige sehr interessante neue Medikamente auf den Markt gekommen. In Prüfung befindet sich mindestens eine Substanz, auf die wir größte Hoffnung setzen. Auch die operativen Verfahren werden immer schonender und gezielter, sodass Rebekka ganz sicher hoffen kann, in den nächsten Jahren ganz anfallsfrei werden zu können.

  1. REHADAT: Epilepsie im Arbeitsleben, S. 2, Institut der deutschen Wirtschaft, Köln 2011.
  2. Der vollständige Name ist der Redaktion bekannt.