Kontrazeption und Schwangerschaft bei Multipler Sklerose

Multiple Sklerose (MS) wird zunehmend bei jungen Frauen diagnostiziert. Welche Fragen ergeben sich daraus für die Familienplanung betroffener Frauen – insbes. hinsichtlich Kontrazeption und der verschiedenen verlaufsmodifizierenden Therapien (DMT)?

Dr. rer. nat. Sandra Thiel, Apothekerin und Projektmanagerin des Deutschen-Multiple-Sklerose- und Kinderwunschregisters am Katholischen Klinikum Bochum, Prof. Dr. med. Kerstin Hellwig, Leiterin der neurologischen Ambulanz und Poliklinik ebd., sowie Dr. med. Aida Hanjalic-Beck, Fachärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe mit Schwerpunkt gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin am CERF in Freiburg geben einen breiten Themenüberblick und beleuchten viele praxisrelevante Fragen zur Schwangerschaftsplanung und dem Umgang mit dieser chronischen Erkrankung bzw. den verschiedenen Therapien vor, während und nach der Schwangerschaft.

Hintergrund

In Deutschland sind nach neuesten Schätzungen zwischen 220.000 und 230.000 Menschen an MS erkrankt1. Die Erstdiagnose wird meist zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr gestellt1, wobei Frauen dreimal häufiger betroffen sind als Männer2. Da Östrogene in hohen Konzentrationen immunsupprimierend und antiinflammatorisch, in niedrigen Konzentrationen hingegen eher proinflammatorisch wirken können3, leiden vor allem Frauen im gebärfähigen Alter an MS.

Die MS hat 3 Verlaufsformen: schubförmig-remittierend (RRMS), sekundär progredient (SPMS) und primär progredient (PPMS)4. 85 % der Erstdiagnosen sind dem schubförmig-remittierenden Verlauf zuzuordnen5. Die Erkrankung verläuft initial in Schüben und kann nach neuesten Diagnosekriterien anhand klinischer und neuroradiologischer Parameter sowie Liquordiagnostik frühzeitig nach dem 1. Schubereignis diagnostiziert werden6. Dies ist hochrelevant: Erste Daten deuten darauf hin, dass der rechtzeitige Beginn einer DMT, insbes. auch mit stärker wirksamen Therapien, den Übergang der RRMS in die SPMS verzögern kann7.

Kontrazeption

Die Autorinnen präsentieren zunächst einen Überblick der Kontrazeptiva hinsichtlich Anwendungshäufigkeit und Sicherheit – auch mit Blick auf mögliche Wechselwirkungen hormonaler Kontrazeptiva mit den verschiedenen MS-Medikamenten. Ein weiteres Augenmerk richten sie dann auf die nötige, frühe Thematisierung des Kinderwunsches, eine ausführliche Aufklärung und die Anpassung der Medikation. Dazu diskutieren sie relevante Fragen und präsentieren den je aktuellen Forschungsstand zu: Vererbbarkeit und Fertilität mit MS, Sicherheit von DMT in Schwangerschaft und Stillzeit, Einfluss einer Schwangerschaft auf den Krankheitsverlauf sowie MS und Stillen.

Schlussfolgerungen

Frauen mit MS sollten in ihrem Kinderwunsch unterstützt werden, da Schwangerschaften das langfristige Behinderungsrisiko von Frauen mit MS nicht beeinflussen. Sie sollten gut geplant werden (insbes. bei hochaktiven Verläufen und bestimmten DMT vor der Schwangerschaft), wobei Schwangerschaften bei Frauen mit MS nicht per se Risikoschwangerschaften sind. Gemeinsam mit der Patientin und deren PartnerIn sollte die Therapie mit dem größtmöglichen Nutzen für die Mutter und dem geringstmöglichen Risiko für das Kind eruiert werden. Das volle Stillen in den ersten Monaten ist anzustreben und zunehmend auch in der Kombination mit DMT möglich.

Autoren

Thiel S, Hellwig K, Hanjalic-Beck A

Erfahren Sie mehr zur Notfallkontrazeption nach dem DocCheck-Login.

Weiter geht's nach Ihrer Anmeldung

Literatur

  1. AWMF. S2k-Leitlinie zur Diagnose und Therapie der Multiplen Sklerose, Neuromyelitis-optica-Spektrum-Erkrankungen und MOG-IgG-assoziierten Erkrankungen 2021. Registernr. 030-050LG. www.awmf.org/leitlinien/detail/anmeldung/1/ll/030-050.html (abgerufen am 22.4.2022)
  2. Orton SM, Herrera BM, Yee IM, Valdar W, Ramagopalan SV et al. Sex ratio of multiple sclerosis in Canada: a longitudinal study. Lancet Neurol 2006;5(11):932-6. doi: 10.1016/S1474-4422(06)70581-6
  3. Ysrraelit MC, Correale J. Impact of sex hormones on immune function and multiple sclerosis development. Immunology 2019;156(1):9-22. doi: 10.1111/imm.13004
  4. Lublin FD, Reingold SC, Cohen JA, Cutter GR, Sorensen PS et al. Defining the clinical course of multiple sclerosis: the 2013 revisions. Neurology 2014;83(3):278-86. doi: 10.1212/WNL.0000000000000560
  5. National Multiple Sclerosis Society. Approximately 85 percent of people with MS are initially diagnosed with RRMS. https://www.nationalmssociety.org/What-is-MS/Types-of-MS/Relapsing-remit... (abgerufen am 9.5.2022)
  6. Thompson AJ, Banwell BL, Barkhof F, Carroll WM, Coetzee T et al. Diagnosis of multiple sclerosis: 2017 revisions of the McDonald criteria. Lancet Neurol 2018;17(2):162-73. doi: 10.1016/S1474-4422(17)30470-2
  7. Brown JWL, Coles A, Horakova D et al. Association of Initial Disease-Modifying Therapy With Later Conversion to Secondary Progressive Multiple Sclerosis. JAMA 2019;321(2):175-87. doi: 10.1001/jama.2018.20588