Beikonsum
Während einer opiatgestützten Substitutionstherapie kommt es nicht selten zum weiteren Konsum legaler oder illegaler Substanzen, auch Beikonsum genannt. Bei rund 70-80 Prozent der Menschen, die unter einer Opioidabhängigkeit leiden, liegt eine solche begleitende Abhängigkeit vor.1 Dies können Kokain oder andere Stimulanzien, Medikamente gegen Unruhe- und Angstzustände (sogenannte Benzodiazepine) und/oder Alkohol sein.1
Umgang mit dem Beikonsum
Der Konsum verschiedenster in der Szene erhältlicher Medikamente, illegaler Substanzen oder Alkohol parallel zum Substitutionsmittel birgt erhebliche gesundheitliche Risiken. So kann sich die Sterblichkeit, besonders im Zusammenhang mit einem zusätzlichen kritischen Suchtmittelkonsum wie Alkohol, erhöhen.2 Ziel ist es also, die zusätzliche Belastung durch einen weiteren Suchtdruck für Sie als Patient*in zu senken bzw. zu nehmen. Daher sollte der Beikonsum, z. B. bei einer bestehenden Alkoholabhängigkeit, separat therapiert werden.
Gut zu wissen: Es ist kein unkooperatives Verhalten Ihrerseits, wenn Sie während der Substitutionstherapie eine weitere Sucht entwickeln3 – es ist vielmehr ein Zeichen, dass vermutlich bei Ihnen parallel noch andere Konflikte stattfinden, die durch eine zusätzliche Sucht gedämpft oder betäubt werden sollen.
Diese Gründe müssen gefunden werden. Gleichzeitig muss auch ein Monitoring (Überwachung) dieses neuen Suchtmittels stattfinden, z. B. durch Urinproben. Urinproben sind daneben auch eine Untersuchungsmethode mit der sich die Behandler*innen ein Bild davon machen, ob Sie als Patient*in das Substitutionsmittel gemäß Verordnung einnehmen. Die Ergebnisse aus den Proben werden dann besprochen. Bei der Suche nach Möglichkeiten, den Konsum weiterer Substanzen zu reduzieren oder gar zu beseitigen, kann auch eine Erhöhung der Dosis oder Wechsel des Substitutionsmittels eine Lösung sein. Nachfolgend finden Sie einige Suchtmittel und ihre Einordnung in Bezug auf die Opioidabhängigkeit.
Alkohol
Durch seine leichte Verfügbarkeit geht von der Droge Alkohol während einer Drogenersatztherapie eine besondere Gefahr aus. Warum – das zeigen die folgenden Punkte:
- In Studien war zu beobachten: Während der Konsum von „harten Drogen“ wie Kokain unter einer Drogenersatztherapie über die Behandlungsdauer abnimmt, steigt gleichzeitig häufig der Alkoholkonsum.4
- Statistisch gesehen leiden demnach bis zu zwei Drittel der opioidabhängigen Patient*innen in ihrem Leben unter einer Alkoholabhängigkeit.1
- Gerade die Kombination von Substanzen, die sedierend (stark beruhigend) wirken zusammen mit Alkohol, bergen das Risiko, dass es zu einer Überdosis mit einer extremen Herabsetzung der Atemtätigkeit (Atemdepression) kommen kann.1
Daher ist wichtig: Wenn Sie als Patient*in glauben bzw. als Angehörige beobachten, dass bei Ihnen bzw. einem*r substituierten Familienmitglied bzw. Freund*in eine Alkoholabhängigkeit vorliegen könnte, scheuen Sie sich nicht, eine Entzugsbehandlung anzufragen oder vorzuschlagen.1 Diese kann nach Rücksprache mit dem Arzt oder der Ärztin und nach der Intensität des Trinkverhaltens ambulant oder stationär erfolgen. Wenn Sie sich zusammen mit Ihrem*r Behandler*in für eine ambulante Therapie entscheiden, können die Facharzttermine, z. B. für die Abgabe der Urinproben, auch für die engmaschige Betreuung genutzt werden.
Benzodiazepine
Benzodiazepine sind wichtige Medikamente für akute Krisensituationen. Sie werden von Ärztinnen bzw. Ärzten bei Angsterkrankungen und Erregungszuständen sowie bei Schlafstörungen und zerebralen (im Gehirn stattfindenden) Krampfanfällen verordnet. Hintergrund für die Verschreibung kann auch die Therapieunterstützung bei traumatischen Kindheitserinnerungen sein. Ein weiteres wichtiges Einsatzgebiet ist zudem, die Effekte anderer Drogen, wie z. B. Kokain, zu mildern.1 Allerdings liegt bei etwa der Hälfte der opioidabhängigen Patient*innen ein anhaltender missbräuchlicher Konsum vor.1 Durch die gleichzeitige unkontrollierte Einnahme von Benzodiazepinen und Substitutionsmitteln steigt die Gefahr einer Atemlähmung massiv an. Es besteht Lebensgefahr.
Daher gilt auch hier: Seien Sie ehrlich zu sich und Ihrem*Ihrer Behandler*in und kommunizieren sie eine Einnahme.
Insgesamt sollte überlegt werden, ob eine Erhöhung der Dosierung des Substitutionsmittels in Frage kommt, um den Gebrauch weiterer Suchtmittel zu reduzieren.
1 Grella CE, Karno MP, Warda US, Niv N, Moore AA (2009). Gender and comorbidity among individuals with opioid use disorders in the NESARC study. Addict Behav 34: 498-504.
2 Soyka M et al. Mortalität in der langfristigen Substitution: Häufigkeit, Ursachen und Prädikatoren. PREMOS-Studie. 2007.
3 https://medicalforum.ch/de/detail/doi/smf.2021.08752.
4 Herdener M, Dürsteler KM, Seifritz E, Nordt C (2017). Changes in substance use in patients receiving opioid substitution therapy and resulting clinical challenges: a 17-year treatment case register analysis. Lancet Psychiatry 4: 302-309.