Psychosoziale Betreuung
Wenn eine sogenannte „substanzbezogene Störung“, also z. B. eine Opioidabhängigkeit, behandelt werden soll, reicht der alleinige Austausch des Suchtmittels häufig nicht aus. Warum? Auslöser bzw. die Folge einer solchen Abhängigkeit sind psychische bzw. körperliche Störungen. Werden sie nicht erkannt und aufgearbeitet, können sie die Abhängigkeit immer wieder befeuern;1 konkret würde es bedeuten, dass man z. B. bei einer Angsterkrankung einfach nur Medikamente zur „Entspannung“ gibt, aber nicht untersucht, woher die Ängste kommen. Sobald das Medikament abgesetzt würde, wären die Ängste wieder da. Daher ist es auch bei der Opioidabhängigkeit notwendig, dass neben der medikamentösen Behandlung auch der Psyche genügend Aufmerksamkeit geschenkt wird. Daher sollte parallel zur medikamentös unterstützten Suchttherapie eine psychosoziale Betreuung (PSB) in Anspruch genommen werden.
Start & Ziele der psychosozialen Betreuung
In Drogenberatungsstellen werden von Sozialarbeiter*innen oder Psycholog*innen besonders niederschwellige Angebote der PSB gemacht. Eine PSB kann aber auch durch ein interdisziplinäres Mitarbeiterteam in der Arztpraxis durchgeführt werden. Wichtig ist die enge Zusammenarbeit aller an der Therapie beteiligten Personen. Es ist Aufgabe der Ärztin bzw. des Arztes, eine PSB zu empfehlen bzw. bei substituierten Personen miteinzubeziehen. Auswahl, Art und Umfang der Maßnahmen richten sich nach der individuellen Situation und dem Krankheitsverlauf der Patient*innen.
Ziel der PSB ist die Stabilisierung der materiellen, sozialen und psychischen Situation der Patient*innen. Dazu gehören z. B. je nach individueller Situation:2
- Integration in den Beruf, Vorbereitung auf Arbeit, Schule und Ausbildung bzw. Unterstützung bei der Bewältigung der beruflichen Situation
- Sicherung des Lebensunterhaltes oder Schuldnerberatung
- Verhinderung von Beschaffungskriminalität, Vermeidung von Prostitution oder auch Unterstützung bei juristischen Fragen
- Arbeit an der Beziehungsfähigkeit: Unterstützung beim Aufbau drogenfreier Beziehungen, Hilfe bei Kindererziehung oder bei Konflikten in der Paarbeziehung
- Hilfe bei Sicherung des Wohnraums, der Wohnungssuche oder bei Obdachlosigkeit
- Unterstützung in sozialen Anhgelegenheiten und beim Aufbau sozialer Kompetenzen sowie Unterstützung beim Umgang mit Behörden
- Unterstützung bei der Bewältigung des Alltags, z. B. Freizeitgestaltung oder Strukturierung des Tagesablaufs
- Hilfestellung beim Abbau von Beikonsum sowie Unterstützung bei Suchtfragen und der Suchtdynamik bzw.
- Vertiefung der Krankheitseinsicht
Es ist wichtig, dass es Bezugspersonen gibt, die die Patient*innen in Ihren Hochs und Tiefs der Behandlung und im „normalen“ Leben stützen. Damit diese Bereiche dann auf lange Sicht funktionieren, müssen die Patient*innen dazu ermuntert werden, dass sie therapeutisch und medikamentös am Ball bleiben. Für diese „Änderungsmotivation“ kann dann die psychosoziale Betreuung sorgen.
Arten der psychosozialen Betreuung
Obwohl der Begriff psychosoziale Betreuung sicherlich schon häufig in Gesprächen mit Behandler*innen gefallen ist, soll er hier noch einmal kurz erklärt werden: In einer solchen Behandlung sollen der Einfluss und die Wechselwirkungen der sozialen Umgebung (z. B. Freunde und Familie) mit einer (suchtkranken) Person bzw. ihrem psychischen Funktionsniveau (also wie „leistungsfähig“ die Psyche ist) verändert werden.
Eine psychosoziale Behandlung muss demnach auch nicht nur durch Psycholog*innen erfolgen, sondern darunter können ebenso der Besuch einer Selbsthilfegruppe oder Familientherapien fallen.3
Bei der Behandlung der Opioidabhängigkeit sollte, wie bei anderen Abhängigkeitserkrankungen auch, die Gesprächsführung wertschätzend, auf Augenhöhe mit den Patient*innen sowie sehr verständnisvoll sein. So kann sich dann, wenn Patient*innen Vertrauen zum*zur Behandler*in gefasst haben, eine aktive und positive Grundhaltung der Patient*innen zur Therapie einstellen.
Neben dieser motivationsfördernden Technik kommen in den suchtspezifischen Verhaltenstherapien auch kognitiv-verhaltenstherapeutische Ansätze zum Tragen, in denen die Einstellung durch das Einüben von positiven Verhaltensweisen auf positive Art und Weise beeinflusst werden soll. Natürlich müssen bei der Auswahl der Therapien noch psychiatrische Störungen mitgedacht werden.2
Wichtig: Insbesondere nach der erfolgreichen Entlassung aus einer Suchtklinik ist die Wahrscheinlichkeit eines Rückfalls innerhalb der darauffolgenden zwei Monate sehr groß.4 Daher sollte zu diesem Zeitpunkt dringend eine psychosoziale Behandlung erfolgen.
1 Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde e.V. (DGPPN), Deutsche Gesellschaft für Suchtforschung und Suchttherapie e.V. (DG-Sucht) (Hrsg). S3-Leitlinie. Medikamentenbezogene Störungen (Langfassung). 1.Auflage, 2020. Version 1.1. AWMF-Register-Nr.: 038-025.
2 Deimel, D (2012): Die Versorgungspraxis der phsychozozialen Behandlung Opiatabhängiger – die PSB-Studie. In: Klinische Verhaltensmedizin und Rehabilitation, 25(90): 88-97.
3 Walter M, Denier N, Gerber H, Schmid O, Lanz C, Brenneisen R, Riecher-Rössler A, Wiesbeck GA, Scheffler K, Seifritz E, McGuire P, Fusar-Poli P, Borgwardt S (2015). Orbitofrontal response to drug-related stimuli after heroin administration. Addict Biol 20: 570-579.
4 https://www.bptk.de/fachtagung-psychotherapie-und-suchtbehandlung-am-25-november-2008/ (letzter Aufruf: 10.03.2022).