Ziele der Suchttherapie

Wenn Sie die Überschrift lesen, werden Sie sicherlich denken: Mein Ziel ist es, von der Sucht wegzukommen. Doch legen Sie die Messlatte an sich nicht so hoch. Denn eine Opioidabhängigkeit ist eine schwere chronische Erkrankung, die in der Regel einer lebenslangen Behandlung bedarf. Bei der Behandlung spielen viele Faktoren eine Rolle, die den Umgang mit der Krankheit begünstigen oder auch verschlimmern können – sowohl die aktuellen körperlichen, psychischen als auch sozialen Umstände. Die medikamentös unterstützte Suchttherapie stellt für die Mehrheit der Patient*innen die Therapie der Wahl dar und ihr Erfolg ist mittlerweile unumstritten.

Realistische Ziele finden

Abhängig von der individuellen Situation werden die entsprechenden persönlichen Therapieziele festgelegt und auch inwieweit und in welcher Zeitspanne diese Ziele im Einzelnen erreicht werden können. Dies können u. a. folgende sein:1

  • Sicherstellung des Überlebens,
  • Stabilisierung und Besserung des Gesundheitszustandes,
  • Unterstützung der Behandlung somatischer und psychischer Begleiterkrankungen,
  • Reduzierung des Konsums unerlaubt erworbener oder erlangter Opioide bzw. weiterer Suchtmittel,
  • Abstinenz von unerlaubt erworbenen oder erlangten Opioiden,
  • Verringerung der durch die Opioidabhängigkeit bedingten Risiken während einer Schwangerschaft sowie während und nach der Geburt,
  • Verbesserung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität,
  • Reduktion der Straffälligkeit oder auch
  • Teilhabe am Leben in der Gesellschaft und am Arbeitsleben.

Das individuelle Therapiekonzept wird im Verlauf der Behandlung regelmäßig überprüft und die Ziele gegebenenfalls neu bewertet und entsprechend angepasst.

Schritt für Schritt zum nächsten Ziel

Durch die regelmäßige Einnahme der Substitutionsmittel, wird das Verlangen nach Opioiden reduziert und Ihnen der Beschaffungsdruck genommen. Es dreht sich nicht mehr alles um den Substanzkonsum. So erhalten Sie die Möglichkeit, Ihr Leben neu zu überdenken und neu zu strukturieren. Die allgemeine Lebensqualität verbessert sich in der Regel erheblich.

Wie oben schon beschrieben: Als Ziel kann das Erreichen der Abstinenz angestrebt werden, es kann aber patientenindividuell auch die langfristige medikamentöse Therapie im Vordergrund stehen.

Und sicherlich ist ein interessanter Fakt: Diese beiden gerade genannten Ziele sind gleichwertig und schließen sich nicht gegenseitig aus.Bewerten Sie also Ihre jetzige Situation lieber realistisch und nehmen Sie den Druck von sich, sofort oder in nächster Zeit komplett von der Opioidabhängigkeit loskommen zu müssen. Oft bleibt das Thema Opioidabhängigkeit eine lebenslange Aufgabe.

Wenn sich Ihre medizinische, psychische und soziale Situation stabilisiert hat, kann auch ein nächster Behandlungsschritt gegangen werden. Vielleicht können Sie sich dann mit folgenden Fragen beschäftigen:

  • Kann ich mir neue – natürlich realistisch erreichbare – Therapieziele stecken?
  • Welche Unterstützung oder Motivation benötige ich, um diese neue Stufe zu erreichen?
  • Wie kann ich durchhalten?

Besprechen Sie Ihre Überlegungen mit Ihren Behandler*innen, Psycholog*innen bzw. Psychiater*innen. Dafür können unterstützende Begleitmaßnahmen vereinbart werden. Im Rahmen dieser Gespräche soll auch eine Opioidabstinenz thematisiert und dokumentiert werden. Wenn nach dieser Abstimmung die Möglichkeit besteht, dass Sie ein opioidfreies Leben führen können, sollte eine ambulante oder stationäre Entzugsbehandlung angestrebt werden bzw. ein langsames Ausschleichen.

Durchführung der Suchttherapie

Es ist bedrückend, dass durchschnittlich rund 11 Jahre vergehen, bis heroinabhängige Betroffene in Europa eine Behandlung starten. Aus Sicht der Patient*innen müssen hohe Hürden überwunden werden, um diesen Schritt zu gehen. Dies wird insbesondere daran deutlich, wenn man die folgenden Faktoren bedenkt, die im Zusammenspiel einen Therapiestart erschweren:3

  • Sich selbst die Krankheit einzugestehen bzw. sich seinem Umfeld zu offenbaren – das sind wohl besonders hohe emotionale Hürden. In der Gesellschaft ist zudem das Thema stark stigmatisiert, weshalb die Betroffenen häufig zögern, sich Hilfe zu suchen und die Krankheit so weiter voranschreitet.
  • In der langen Zeitspanne wird die Krankheit dann chronisch; das bedeutet, die Betroffenen sind in einem Kreislauf aus (immer größer werdendem) Sucht- und Beschaffungsdruck gefangen, der durch kontinuierliche Dosissteigerungen verstärkt wird.
  • Oft haben die Betroffenen allerdings schon selbst versucht, „clean“ zu werden – sind aber aus verschiedensten Gründen (z. B. fehlende Unterstützung, mangelndes Selbstvertrauen, Suchtumfeld, etc.) gescheitert.

Was sind die ersten Schritte?

Wenn eine Therapie in Erwägung gezogen wird, sollten Sie sich als Betroffene*r im ersten Schritt an eine Ärztin bzw. Arzt Ihres Vertrauens oder an eine Suchtberatungsstelle wenden. Dort können Behandler*innen genannt werden, die eine Suchttherapie durchführen.

Vor Beginn der Therapie wird idealerweise ein schriftlicher Behandlungsvertrag zwischen Suchtpatient*in und behandelnder Ärztin bzw. behandelnden Arzt geschlossen, der von beiden Parteien unterschrieben wird. Dieser beinhaltet unter anderem:

  • die Bedingungen, unter denen die Medikamentenvergabe erfolgt,
  • die wichtigsten Regeln, die von den Betroffenen einzuhalten sind,
  • die Zustimmung zur Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht, beispielsweise gegenüber der psychosozialen Betreuungsstelle und anderen Ärztinnen bzw. Ärzten.

Beim ersten Arztbesuch werden verschiedene Punkte durchgesprochen. Hierzu zählen u. a.:

  • Wie lange besteht der Opioidkonsum?
  • Werden weitere Substanzen oder Alkohol konsumiert?
  • Wie sieht das soziale Umfeld (Fragen nach der Familie, den Freunden und dem Arbeitsplatz) aus?
  • Wurden bereits Suchttherapien durchgeführt?
  • Laufen parallel andere Therapien?

Der/die Behandler*in stellt anhand der patientenindividuellen Situation fest, ob eine medikamentös unterstützte Suchtbehandlung sinnvoll ist. Hierzu wird der Nutzen der Suchttherapie gegenüber den Gefahren eines unkontrollierten Drogenkonsums abgewogen. Gemeinsam wird anschließend ein Therapieplan erstellt.

Hier werden:

  • die Ziele der Therapie festgelegt und
  • das Substitutionsmittel ausgewählt.

Im Verlauf der Behandlung sind die Ziele zu überprüfen, ggf. neu zu bewerten und entsprechend anzupassen.

Das ist natürlich ein idealer Verlauf einer Therapie. Setzen Sie sich also nicht unter Druck, wenn der erste Versuch scheitert. Langzeituntersuchungen bei opioidabhängigen Patient*innen haben gezeigt, dass sich Phasen, in denen sie in Behandlung sind und Abschnitte, in denen sie es nicht schaffen, abwechseln.

Das Positive ist: Auf lange Sicht werden sich die Behandlungsphasen, so zumindest die Ergebnisse der Studie, verlängern.3

Welche Folgeuntersuchungen gibt es?

Eine Opioidabhängigkeit wird häufig von weiteren körperlichen und psychischen Erkrankungen sowie psychosozialen Problemlagen begleitet. Um diese festzustellen, wird der*die Suchtpatient*in einer gründlichen körperlichen Untersuchung und Anamnese bezüglich psychischer Erkrankungen unterzogen. Hierbei wird insbesondere auch auf Zeichen einer Hepatitis- oder HIV-Infektion geachtet. Eventuell notwendige zusätzliche Behandlungsmaßnahmen werden besprochen und gegebenenfalls eingeleitet. Beim Vorliegen psychischer Erkrankungen wie Depressionen, Angststörungen oder Persönlichkeitsstörungen sollten diese therapiert werden. Zudem wird der Arzt bzw. die Ärztin empfehlen, welche psychosozialen Betreuungsmaßnahmen anhand der individuellen Situation und dem Krankheitsverlauf sinnvoll sind.

1 PDF:  FAQ-Liste zur Durchführung der substitutionsgestützten Behandlung Opioidabhängiger auf Grundlage der Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung (BtMVV) und der Richtlinie der Bundesärztekammer (vom 27.04.2020).

https://www.bundesgesundheitsministerium.de/service/publikationen/details/premos-langfristige-substitution-opiatabhaengiger.html (letzter Aufruf: 08.03.2022).

Walter M, Vogel M. Opioidabhängigkeit und Mehrfachabhängigkeit – eine Übersicht. In: Suchtmed 2019. 21(6): 1-8.